Das Video ‹winds of august› ist ein Spiel zwischen Licht und Schatten. Es passt für mich gut zu diesem besonderen Sommer. Ich bin ein Kind des Sommers, im August geboren; Sonne und Wärme sind mir lieb. In diesem Sommer aber mit den endlosen heissen Sonnentagen, suchte ich den Schatten oder ging in den frühen Morgenstunden oder erst abends nach draussen. Die durstenden Pflanzen und die niedrigen Wasserstände in den Seen und Flüssen trübten die Sommerfreuden und die vielen Nachrichten über grosse Waldbrände zeigen, dass wir keine Zeit mehr zu verlieren haben auf dem Weg hin zu einem sorgsameren Umgang mit der Welt in der wir leben.
Ich lese zur Zeit ‘der Gesang der Bäume’ von David G. Haskell. Anhand von 12 Bäumen in allen Teilen der Welt beschreibt Haskell, der als Professor für Biologie an der Universitiy of the South in Sewanee Tennessee arbeitet, die Netzwerke der Natur. Seine zentrale Botschaft ist, dass wir als Menschen in diese Netzwerke eingebunden sind und niemals draussen stehen können. Im Kapitel über die Pappeln am Flussufer im Confluence-Park in Denver, mitten in der Hektik der Grossstadt, schreibt Haskell:

“Wenn wir glauben, dass die Natur das Andere ist, ein angeblich reines Gefilde, von unnatürlichen menschlichen Spuren unbefleckt, verleugnen wir unser eigenes wildes Wesen. Doch die gepflasterten Gehwege, die Sprühfarben der Lackierereien oder die Stadtplanungsunterlagen in Denver verdanken sich der hoch entwickelten Fähigkeit von Primaten, auf ihre Umwelt einzuwirken, und sind darum genauso natürlich wie das Rauschen der Pappeln, der Schrei der jungen Wasseramsel nach Futter oder das Nest der Klippenschwalbe. Ob all diese natürlichen Phänomene klug, schön, richtig oder gut sind, ist eine andere Frage. Doch die können wir am besten beantworten, wenn wir uns selbst als Natur begreifen. (…)
Die Natur braucht kein Zuhause. Sie ist das Zuhause. Wir können nicht an Naturmangel leiden. Wir sind Natur, auch wenn wir sie nicht spüren. Wenn wir begreifen, dass der Mensch Teil der Natur ist, erkennen wir das Schöne und Gute, weil unser Gehirn mit der Lebensgemeinschaft vernetzt ist, und nicht, weil wir die Welt von aussen betrachten.“
Ich weiss, dass ich Teil der Natur bin. Aber in dieser Deutlichkeit, wie sie Haskell beschreibt, ist es mir meistens nicht bewusst. Ich fühle mich als Teil der Natur, wenn ich über die Juraweiden laufe oder auf den vielen Bergwanderungen in diesem Sommer, beim Stand-Up Paddeln am frühen Morgen, beim Schwimmen im Rhein oder beim Velofahren durch den nahen Wald.


Wenn ich aufs Tram warte auf dem grossen stark befahreren Platz, scheint mir ‘die Natur’ weit weg. Ich sehe zwar die einzelnen Bäume im nahen Park, oder die Blumenrabatte auf der Traminsel, ich weiss um den nahen Fluss. Vor allem an den drückend heissen Sommertagen, wo das Warten aufs Tram zur Qual geworden ist, weil der zugepflasterte Boden die Hitze zurückwarf und die Luft von den Abgasen geschwängert war, sehnte ich mich nach der Natur, nach dem ‘reinen Gefilde’, wie es Haskell nennt. Aber gerade in solchen Momenten wäre es wohl klug, sich als Teil auch dieser hektischen und stinkenden Lebensgemeinschaft zu erleben, weil wir vielleicht nur so gedrängt werden Antworten zu finden auf die Fragen, ob diese “Phänomene klug, schön, richtig oder gut sind“.
Ich lasse die Gedanken über die vernetzte Lebensgemeinschaft weiter wandern: Allein schon dadurch, dass ich atme bin ich mit den Menschen, die mit mir aufs Tram warten, vital vernetzt, auch wenn mir dieser Gedanke nicht ganz angenehm ist. Und ich bin ich mit all dem, was auf und um diesen Platz ist, verwoben. In meiner Atemluft sind nicht nur die schädlichen Partikel der Autoabgase, es findet sich darin Sauerstoff von überall her: vielleicht vom Säulenförmigen Spitz-Ahorn oder dem Amerikanischem Amberbaum auf der anderen Strassenseite. (Ich kenne die Namen dieser Bäume, weil alle Stadtbäume von Basel im Baumkataster beschrieben sind.

Oder die Algen aus dem Rhein haben mir Sauerstoff geschenkt. Wahrscheinlich kommen aber die Moleküle von noch viel weiter her, transportiert vom Wind über tausende von Kilometern ‘ausgeatmet’ von Meeresplankton, Steppengras oder vielleicht von einer kleinen Topfpflanze auf einem Fensterbrett viele Flugstunden von diesem Platz in Basel entfernt.
