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Frühlingsfarben

Wir geniessen dieses Jahr einen wunderbar langen Frühling. Weil die Nächte noch kalt sind und es kaum regnet, dauert die Blütezeit lang. Am 23. Februar blühten die ersten Schneeglöckchen auf den Weiden im Jura. Gestern, einen Monat später, bin ich wieder an diesem Plätzchen vorbei spaziert, und noch immer wiegen sich die Köpfchen dieser Frühlingsboten im Wind. Ganz besonders liebe ich die Leberblümchen, sie gehören zu den ersten Farbtupfer im Winterwald. Sie leuchten geradezu im Braun des noch winterlichen Waldbodens. Auch sie haben in diesem Jahr eine lange Blütezeit.

Angeregt durch diese spriessende Frühlingskraft habe ich wieder begonnen mit den Farben der Natur zu malen. Wer weiss, vielleicht entsteht daraus ein Jahreszyklus.

Ich hole die Farbe aus Hasel- und Birkenblüten, erstem frischen Gras, Buschwindröschen (Märzenblümchen) und Leberblümchen, Brennesselspitzen und Taubnesselblüten. Es braucht ganz wenig Pflanzenmaterial, gerademal eine kleine Handvoll Leberblümchen habe ich gepflückt; auf dem langen Spaziergang durch den Wald und am Waldrand entlang nahm ich da und dort eine Blume, ich wollte die blaue Symphonie möglichst nicht stören.

Ich koche die Pflanzen mit wenig Wasser kurz auf, lasse den Sud ziehen und male dann auf ein mit Alaun präpariertes Papier.

Die Farben entfalten sich erst da: So wird aus dem braunen Sud der Birkenblüten ein helles leuchtendes Gelb. Und die blauen Blüten der Leberblümchen hinterlassen einen Hauch von blaugrün. Das frische Gras färbt gelblich braun. Es sind andere Farben, als die offensichtlichen, sie sind oder waren verborgen im Pflanzenmaterial: zusammen ergeben sie einen zarten Einklang.

Ich lese gerade das Buch ‘Through vegetal beeing’ der beiden Philosophen Luce Irigaray und Michael Marder. Im Kapitel über die Jahreszeiten finde ich folgenden Text:

«Im Frühling findet eine heilige Hochzeit statt, wenn sich Himmel und Erde durch die frische Luft und den Sonnenschein miteinander vereinen. Dann kann die Atmosphäre wirklich göttlich sein, und die Erde selbst scheint durch neue Blätter und das langsame Öffnen der ersten Blumen zu lächeln. Die Vögel singen. Und ihr Gesang erklingt in einer tiefen Stille, die als ein Wunder jenseits aller Worte erscheint. Die Luft ist klar, aber sie ist dennoch von unzähligen unsichtbaren Schwingungen, Verbindungen und  Präsenzen durchzogen, die wahrgenommen werden können und eine kosmische energetische Gemeinschaft schaffen, deren Dichte oder Natur leicht und ursprünglich ist.»

übersetzt aus: Luce Irigaray in: Through vegetal being