Ich lese den neuen Roman der türkischen Theaterfrau und Schriftstellerin, Emine Sevgi Özdamar ‘Ein von Schatten begrenzter Raum’, eine Reise durch das Nachkriegseuropa und ein wunderbarer Nachruf auf all ihre Künstlerfreundinnen und Bekannte, die sie auf dieser Reise begleitet haben. Es ist ein dickes Buch, und ob jeweils ich ein Buch bis zum Schluss lese, hängt immer von der Sprache ab; gelingt es ihr, mich zu packen, Bilder aufsteigen zu lassen, so dass die Seiten bunt werden. Und das ist in diesem üppigen Roman so. Am Anfang des Buches ist die Protagonistin auf der türkischen, ehemals griechischen Ägaisinsel Gökçeada, der ‘himmlischen Insel’, wie sie seit den siebziger Jahren heisst. Als junge Frau kommt sie aus Istanbul für eine Nacht und einen Tag dorthin.
Die Ankunft beschreibt sie so:
«Die Inselmenschen hier hatten drei Winde, Imbat, Poyraz, Lodos. (….) Alles wurde vom Imbat nach hinten gefegt, die Haare der Fischer, die Haare der Fischerfrauen, die Haare der Kinder, die Haare der Pferde und die Ohren der Esel. Die Papiere, die auf den steilen Steinpflastergassen lagen, flogen bei Imbat rückwärts vom Meer weg die Gassen hoch. Imbat klebte die Kleider der Frauen an ihre Körper, stelle die Brüste, Bäuche und Schenkel und Schenkelzentren der Frauen zur Schau. (….) Poyaz wehte aus den Bergen und fegte alles nach vorne und die Kleider der Fischerfrauen klebten sich an ihre Körper, so dass ihre Popos und Beine von hinten – wie von Bildhauern modelliert – auf den Gassen zu sehen waren. So verwandelten beide Winde, Imbat und Poyraz, wenn sie kamen, diese Insel sofort in einen Salon de Louvre, in dem man die Venusstatuen einmal von vorne, einmal von hinten betrachten konnte.» Der dritte Wind, Lodos, ist wie Özdamar beschreibt ein warmer Wind und wenn er kam, haute er jedem auf der Insel eins ins Gesicht. «Und das Meer sah bei Lodos wie ein ohnmächtig auf die Erde gefallener Himmel aus.»


Gestern auf dem Weg in die Stadt, es war ein kalter, windloser Tag, freute ich mich über die Blätterteppiche im kleinen Park um die Ecke. Es sind Farben im städtischen Grau, das mit den kürzer werden Tagen überhandnimmt. Wie lange sie wohl so bleiben, fragte ich mich, bevor die Laubbläser, die lästigen, ihre Arbeit verrichten?


Und heute waren sie schon da. Schade, dass es in den Städten nicht möglich ist, dass die Herbstwinde ihre Arbeit verrichten und die Blätter durch die Strassen blasen. Zum Glück verstrubeln noch immer die Herbstwinde unsere Haare, werfen die Mützen in die Luft, lüften die warmen Jacken und blasen den Kaffeebecher vom Tisch in den Rhein.
